Mitbestimmung

Jeder Mensch braucht Boden wie Wasser und Luft.

 

Der Artikel von Laura Weißmüller in der Süddeutschen Zeitung ist ein Fanal:
‘Die Spekulation um Grund und Boden schadet dem sozialen Frieden.‘

Denn die steigenden Kosten haben wenig mit dem Ein- und Anbau eines Luxusbades oder Balkons zu tun, dafür viel mit dem Boom der Städte. Hier gibt es nicht nur bessere Jobs, sondern auch Universitäten, öffentlichen Nahverkehr, Krankenhäuser, Museen und Theater. All das zahlt die Gemeinschaft mit ihren Steuern, und nicht der finanzstarke Immobilienspekulant.

 

Wir leben zwar nicht mehr in Zeiten des Feudalismus, doch die Privilegienstruktur des Bodenbesitzes hat weiter Bestand. Böden sind Kapital- und damit Spekulationsgut. Die ungezügelten Auswüchse sind evident, Menschen werden zunehmend aus ihren Wohnungen und angestammten Kiezen vertrieben.

 

Stadt- und Regionalentwicklung, Exekutive und Legislative müssen sich der Mitbestimmung durch die moderne Zivigesellschaft öffnen.

 

 

Das ist unser Modell von echter Mitbestimmung

 

Partizipation respektive die Beteiligung der Öffentlichkeit in Sachen Stadtentwicklung und Bauleitplanung hat einen gravierenden Nachteil: Die Entscheidungshoheit liegt ausschließlich bei Kommune / Gemeinde / Bezirk. Das ist ja auch soweit richtig, denn unser Regierungssystem basiert auf Entscheidungen gewählter Parlamente und Regierungen.

Bürgerinnen und Bürger, die in langwierigen, aufwändigen Beteiligungsprozessen um Mitarbeit und Einbringung von Ideen gebeten werden, verstehen es aber mehr und mehr als Zumutung, wenn die Kommune hinterher doch schalten und walten kann, wie der Gesetzgeber das vorgesehen hat. Ein Gefühl von Ohnmacht und Resignation macht sich breit, Verdruss und Wut sind oft die Folge.

Allerdings gibt es bereits ein institutionalisiertes Kooperationsmodell für Bürger*innen, das seit Jahrhunderten wie selbstverständlich praktiziert wird: das Schöffenamt. Ehrenamtliche Schöffinnen und Schöffen formulieren und finden gemeinsam mit hauptamtlichen Richter*innen Urteile. Dies soll als essentieller Ausdruck direkter Volkssouveränität verstanden werden und die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.

 

BEWÄHRT: SCHÖFF*INNEN IN DER RECHTSPRECHUNG

 

 

 

Was für die Gewaltenteilung aus Legislative [Gesetzgebung, Parlament], Judicative [Rechtsprechung] und Exekutive [ausführende Gewalt, Regierung] gilt, um die Macht von Staatsorganen auszubalancieren, muss aber auch für die Volkssouveränität gelten. Sie sollte nicht nur in der Judicative Anwendung finden, sondern auch in Legislative und Exekutive praktiziert werden.

 

Wir schlagen daher neben den üblichen Beteiligungsverfahren die permanente, Planungs- und Entscheidungsaufgaben begleitende Schöffenfunktion in der Stadt- und Regionalentwicklung sowie in der Bauleitplanung vor. Ein komplexer und sensibler Vorgang, den wir hier noch nicht erfassen oder beschreiben können – dies soll die Aufgabe einer Expert*innenkommission sein.

 

 

NEUER ANSATZ: SCEFFINI  IN LEGISLATIVE UND EXEKUTIVE

 

Sceffino ist der althochdeutsche Begriff, auf den der des heutigen Schöffen zurückgeht:
sceffino > scaffin, zu schaffen: gestalten, vollbringen, [an]ordnen

 

Was liegt also näher, die Begriffe Sceffino und Sceffina für Bürger und Bürgerinnen einzuführen, die durch Mitbestimmung [symmetrische Kooperation] in die regionale Entwicklungsplanung eingebunden werden?

 

 

Heutzutage reicht es nicht mehr aus, alle vier oder fünf Jahre Politiker*innen zu wählen, die Bürger*innen per Mandat nur vetreten. Das parlamentarische Regierungssystem muss durch symmetrische Kooperation [sogenannte „Augenhöhe“, paritätisch besetzte Entscheidungsgremien] modernisiert werden.

So wird ein kontinuierlicher, unmittelbarer Bezug zum Alltagsleben bis in die kleinsten Einheiten der Gesellschaft ermöglicht – und die Wertschöpfung ansonsten ungenutzter Ressourcen. Die Erfahrung aus Partizipationsverfahren mit Zufallsauswahl von Bürger*innen zeigt, dass diese sich durchaus wertgeschätzt fühlen. Mitbestimmung generiert also auch Bereitschaft zu Engagement, Kompetenzgefühl, Transparenz und Glaubwürdigkeit.

Die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen für die Gemeinschaft wird geschult und gestärkt. Sie kann nicht mehr an der Wahlurne abgegeben werden, einhergehend mit dem unerfüllbaren Verlangen, dass die gewählte Partei nun die eigenen Interessen punktgenau durchzusetzen habe.

 


Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Begleitung des Mitbestimmungsprozesses durch Expertinnen und Experten. Wie in Parlamenten und deren Ausschüssen kann es in der Partizipation nicht nur um Ja oder Nein, Schwarz oder Weiss gehen. Abwägen und Konsensieren müssen als Grundvoraussetzung angesehen werden.

 


 

Stadt- und Bauleitplanung haben großen Einfluss auf die Zufriedenheit der Bewohner*innen, spiegeln in ihrer Entwicklung allerdings nicht den Wert wider, den das Wohnen und das Lebensumfeld für Menschen besitzen. Im öffentlichen Raum findet das tägliche Leben statt. Hier gestalten Menschen ihre Beziehung zu ihren Nachbar*innen, zu Freund*innen und Fremden. Begegnung, Austausch, Anregung, Kommunikation, gegenseitige Bestätigung und Hilfe, Wohlfühlen, Entspannung, Miteinander, Solidarität…. dies alles sind Faktoren, die durch die Belegung und Funktion von Stadtflächen bestimmt werden.

Eine Stadt ist immer öffentlich – für alle Menschen – und wer Eigentum in dieser Öffentlichkeit erwirbt, muss sich deren Bedürfnissen anpassen. Das Gegenteil ist der Fall:

Heutzutage ist die Stadt hauptsächlich eine Spielwiese und Renditemaschine für Finanzinvestoren. Das Grundbedürfnis der Menschen nach Dauerhaftigkeit und Bezahlbarkeit der eigenen Wohnung, nach einem sie anregenden und bestätigenden Umfeld wird immer weiter ausgehebelt. Zurück bleibt eine verunsicherte, gespaltene und entsolidarisierte Gesellschaft.

 

 

Das Prinzip der Mitbestimmung ist sehr alt…

 

…und wird wie oben erwähnt bis heute in Teilfeldern praktiziert. Es geht zurück auf die antike Polis in Griechenland, vor allem in Athen. Der Begriff der Demarchie, unter dem Verfahren subsummiert werden, in denen Volksvertreter*innen in Entscheidungsgremien sowie Amtsträger*innen per Zufallswahl bestimmt werden können, gibt einen aufschlussreichen Einblick in die Möglichkeiten von Mitbestimmung, die sich Gesellschaften bieten.

Menschen lernen durch die ihnen zugewiesenen Aufgaben Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen. Information, Abwägung und Konsensfindung sind wesentliche Bestandteile des Mitbestimmungsprozesses, den einige sich erst erschliessen müssen – der aber letztenendes dazu führt, gemeinsam mit anderen ein größeres Verständnis für komplexe Vorgänge zu erarbeiten und aufeinander zuzugehen.

 

 

 

 

 

 


Aktuelle Beteiligungsverfahren in Friedrichshain-Kreuzberg finden Sie auf der Website des Stadtentwicklungsamts, Fachbereich Stadtplanung.

Für Fragen oder weitere Information stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Bitte richten Sie sich unverbindlich an buero |ett| upstall.de

 

 

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